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Sammelband "Binnenmarktwidrige Gesetze" im Juni 2020

Angesichts der vielen Eilmaßnahmen hat der Europaabgeordnete Andreas Schwab einen Sammelband angelegt, in dem eine Vielzahl mitgliedstaatlicher Maßnahmen aus der jüngsten Vergangenheit zusammengestellt sind, die Europäischem Recht widersprechen. "Wenn Europa schnell aus der Krise kommen will, reicht es nicht, viel Geld auszugeben, es kommt darauf an, es richtig auszugeben und allen Unternehmen in Europa eine faire Chance zu geben!", so der binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion. "Wir sind auf dem Weg in die Sackgasse: Eine Renationalisierung der Verbrauchsgütermärkte ist sicherlich der falsche Weg." Was wir erlebt haben, so berichtet Andreas Schwab, sei ein Wiederaufleben des Protektionismus an allen Enden.

Zurecht habe die Bundeskanzlerin gestern bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emanuel Macron deshalb sehr deutlich darauf hingewiesen, dass es aus deutscher Sicht einen Zusammenhang zwischen den Aufbaumaßnahmen durch das 750 Mrd € Recovery-Instrument einerseits und dem Einhalten der Regeln des gemeinsamen Binnenmarkts gebe. 

Die Beispiele sind mannigfaltig:

  • Der stellvertretende Premierminister Bulgariens hat am 10. April ein Einfuhrverbot für ausländische Lebensmittelprodukte vorgeschlagen und die Regierung aufgefordert, die Einfuhr und den Verkauf von Obst und Gemüse zu stoppen, bis die vor Ort angebauten Vorräte erschöpft sind. (https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/commission-warns-against-shift-towards-protectionism-in-agri-food-sector/)
     
  • Mit einer Regierungsverordnung über regionale Einkaufsmärkte vom 14. April 2020 werden Einzelhändler in Bulgarien verpflichtet, in den Läden ausreichend Platz für lokale Lebensmittel - wie Milch, Fisch, Frischfleisch und Eier, Honig, Obst und Gemüse -  zu reservieren und sicherzustellen, dass 90% der Milchprodukte regional beschafft werden (aus den Bezirken, in denen ein Supermarkt angesiedelt ist oder aus Nachbarbezirken).
     
  • Das Landwirtschaftsministerium Bulgariens hat auch beschlossen, Schlachthäuser mit staatlichen Beihilfen zu stützen, um sie während der vergangen Osterfeierlichkeiten nur bulgarische Lämmer einzukaufen. Auch lokalen Einzelhändlern wurde staatliche Unterstützung gewährt, um sie zu ermutigen, Obst und Gemüse von einheimischen Landwirten zu kaufen. (https://www.neweurope.eu/article/the-light-approach-of-bulgaria-to-food-supplies/)
     
  • Der tschechische Landwirtschaftsminister forderte in einer am Montag, den 20. April veröffentlichten Erklärung die Verbraucher auf, tschechischen Lebensmitteln den Vorzug zu geben. (https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/commission-warns-against-shift-towards-protectionism-in-agri-food-sector/)
     
  • In Tschechien sollen Händler gezwungen werden künftig (ab 2021) mindestens 55 % an Nahrungsmitteln von tschechischen Produzenten zu verkaufen. Bis 2027 sollen jedes Jahr weitere 5 % hinzukommen. Dass in Tschechien niemals Orangen, Zitronen oder Kiwis wachsen oder Salzwasserfische gefangen werden können, wird immerhin gesehen: Diese Produkte sollen ausgenommen werden.
     
  • Aufgrund einer Änderung des tschechischen Lebensmittelrechts werden Händler mit einer etablierten Verkaufsfläche von mehr als 400 m2 verpflichtet, bei mindestens 60% der angebotenen Lebensmittel sicherzustellen, dass diese in der Tschechischen Republik hergestellt werden.
     
  • Die österreichische Landwirtschaftsministerin kündigte am 12. Mai an, dass Österreich einen „Regionalbonus“ entwickeln würde, der die Bevorzugung nationaler Lebensmittel stärken würde. (https://twitter.com/ElliKoestinger/status/1260233679898632196)
     
  • Kroatien hat eine (diskriminierende) Verkaufsplattform für ausschließlich kroatische Produkte eingerichtet.
     
  • Italiens Ministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Forstpolitik und der Minister für wirtschaftliche Entwicklung haben per Ministerialerlass bis zum 31. Dezember 2021 die Verpflichtung zur Angabe der Herkunft von Weizen für Teigwaren aus Hartweizengrieß, sowie der Herkunft von Reis und Tomaten in verarbeiteten Produkten verlängert. (https://www.politicheagricole.it/flex/cm/pages/ServeBLOB.php/L/IT/IDPagina/15269
     
  • In Polen hat das Agrarministerium Ende April einen "Internetpranger" geschaffen. Polens Agrarministerium hat auf seiner Internetseite eine Liste von Molkereien und Händlern veröffentlicht, die Milch und Milchprodukte aus anderen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, importieren. Darauf sind die Unternehmen mit Namen und Adresse genannt sowie die genaue Menge importierter Rohmilch, Vollmilch, Magermilch und Käse sowie Butter im letzten Quartal. (https://www.gov.pl/web/rolnictwo/jedni-wspieraja-a-dla-innych-liczy-sie-tylko-zysk?utm_source=POLITICO.EU&utm_campaign=36b5b33e8e-EMAIL_CAMPAIGN_2020_04_28_04_57&utm_medium=email&utm_term=0_10959edeb5-36b5b33e8e-190468717)
     
  • In Ungarn gibt es eine laufende nationale Konsultation, bei der es unter anderem um die Frage geht, ob eine Bevorzugung einheimischer Produkte und Dienstleistungen zwecks Wiederaufschwungs der ungarischen Wirtschaft nach der Coronavirus-Epidemie gefördert werden sollte. (http://abouthungary.hu/news-in-brief/heres-the-latest-national-consultation-questionnaire-in-english/)
     
  • In Portugal war die Corona-Krise  Anlass für eine landesweite Kampagne für lokale Produktion sowie für die Einführung einer App, die Produzenten zertifiziert, dass sie "100% lokal" sind. (https://www.arc2020.eu/europes-agroecology-movement-stepping-up-in-times-of-covid19/)
     
  • Frankreichs Landwirtschaftsminister rief im Mai im Radio zum „Lebensmittelpatriotismus, zum Agrarpatriotismus“ auf und forderte die Bürger auf, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Landwirte zu stärken, indem sie französische statt spanischer Erdbeeren und Tomaten kaufen, auch wenn sie teurer sind. Zudem führt seit März die französische Regierung Gespräche mit den Supermärkten des Landes über den Kauf lokaler frischer Lebensmittel. Infolgedessen haben einige der größten französischen Einzelhandelsketten ihre Lieferungen fast vollständig auf lokale Landwirtschaftsbetriebe umgestellt.
     
  • Mit einem Erlass vom 27. März 2020 verlängerte Frankreich bis zum 31. Dezember 2021 die zwingende Angabe der Herkunft von Milch sowie von Milch und Fleisch, die als Zutaten in vorverpackten Lebensmitteln verwendet werden.
     
  • Und zu Guter Letzt hat Frankreich ein Lieferkettengesetz verabschiedet, ohne es der EU vorab zu melden, obwohl die Kommission derzeit genau ein solches Gesetz europaweit einheitlich erarbeitet, denn: Kakao kommt nicht aus Frankreich, auch nicht aus Europa, sondern aus Drittländern. Wenn Europa eine Rolle spielen will, dann nur durch die Schaffung und Durchsetzung gemeinsamer Regeln.